Von BARF zu veganem Hundefutter – Ist weniger Fleisch in der Hundeernährung sinnvoll?
Die Zusammensetzung von Hundefuttern gehört wohl zu den am meist diskutiertenThemen in der Hundeszene. Dies betrifft auch den Fleischanteil. Der Diskurs darüber inwiefern eine Reduzierung des Fleischanteils im Hundefutter sinnvoll ist, ist von unterschiedlichsten Meinungen geprägt, während langfriste Auswirkungen vegetarischer oder veganer Hundeernährung noch kaum erforscht sind. In diesem Artikel wird ein Überblick über Beweggründe von Halter:innen für eine fleischlose(re) Fütterung sowie den aktuellen Forschungsstand gegeben.
Die Zusammensetzung von Hundefuttern gehört wohl zu den am meist diskutierten Themen in der Hundeszene. Neben einzelnen Inhaltsbestandteilen, wie Getreide oder Nebenerzeugnissen lebensmittelverabeitender Industrien, betrifft dies auch den Fleischanteil. Auf der einen Seite gelten Frischfutter-Konzepte wie BARF oder Prey-Model-Raw, die sich an Zusammensetzungen von Beutetieren orientieren wollen, unter vielen Hundehalter:innen als eine besonders artgerechte und gesunde Hundefütterung. Auch Fertigfutter mit hohem Fleischanteil, besonders viel Muskelfleisch und wenig Schlachtnebenerzeugnissen, werden nicht selten als besonders gesund für den Hund beworben. Auf der anderen Seite, durch die zunehmende Auseinandersetzung mit Klima- und Umweltschutz, sowie gesundheitlichen und ethischen Aspekten im Zusammenhang mit Fleischkonsum, kommen auch in der Hundewelt vermehrt Diskussionen auf, den Fleischverbrauch unserer Hunde zu verringern. Neben dem Diskurs der Beweggründe ist dabei eine ganz zentrale Frage, inwiefern eine Reduzierung des Fleischanteils im Hundefutter überhaupt möglich ist. Auf beide Aspekte werde ich in diesem Artikel eingehen.
Der Begriff Fleisch wird im allgemeinen Sprachgebrauch, gerade in der menschlichen Ernährung, gerne als Synonym für das Muskelfleisch eines geschlachteten Tieres benutzt. Unter Muskelfleisch wiederum wird im engeren Sinne die Skelettmuskulatur und die ihr anhaftenden Strukturen verstanden, nicht aber Zunge oder Herz. Laut der EU-Verordnung (EG) NR. 853/2004 wird Fleisch als alle für den Menschen genießbaren Körperteile und Organe von Huftieren, Geflügel, Hasentieren, frei lebendem Wild, Farmwild, Kleinwild und Großwild, inklusive Blut definiert.
Weniger Fleisch im Hundefutter – Warum eigentlich?
Die Beweggründe, Hunde mit weniger Fleisch füttern zu wollen, können sehr vielseitig sein. Besonders häufig begegnet man im Diskurs Argumenten rund um Nachhaltigkeit, Gesundheit und ethische Fragen.
Nachhaltigkeit
Nicht nur in Hinblick auf die menschliche Ernährung, sondern auch Im Kontext der Hundeernährung steht die Frage nach einer Reduktion tierischer Produkte zu Gunsten des Umweltschutzes und einer besseren Klimabilanz im Raum, da insbesondere das Hundefutter, je nach Studie, mit 60-90% maßgeblich für den CO2-Fußabdruck unserer Haushunde verantwortlich ist.
Führen wir uns als ein vereinfachtes Beispiel von einem 15 kg schweren Hund vor Augen der täglich eine Ration von etwa 600g mit einem Fleischanteil von 70% gefüttert bekommt, dann konsumiert dieser in einem Jahr etwa 153 kg Fleisch. Zum Vergleich: Im Jahr 2020 lag der menschliche Fleischverzehr in Deutschland bei 57,33 kg pro Kopf. Bei 83,24 Millionen Menschen und 10,7 Millionen Hunden die in Deutschland leben, nehmen Hunde eine entsprechend große Rolle beim Fleischkonsum ein. Eine Senkung des Fleischanteils könnte also einen recht großen Unterschied machen.
Besonders relevant ist hierbei das nachgefragte Muskelfleisch, das in Konkurrenz zu menschlichen Essgewohnheiten steht, denn anders als häufig angenommen wird für die Fütterung nicht nur Fleisch genutzt, welches für den Menschen nicht genießbar ist. Auch der Import von Fleisch aus anderen EU-Ländern sowie aus dem EU-Ausland sind ein weiterer bedeutender Faktor des CO2 Fußabdrucks.
Gesundheit
Für einige Hundehalter:innen ist das Streben nach einer möglichst gesunden Ernährungsweise für ihre Hunde eine Motivation auf Fleisch im Futter zu verzichten. Dabei stößt man zum einen auf eher schwer belegbare Gründe wie zum Beispiel eine diffuse Sorge vor industriell verarbeiteten Futtern oder Schlachtnebenerzeugnissen im Allgemeinen, zum anderen aber auch auf tiermedizinische Gründe wie Unverträglichkeiten oder bestimmte Erkrankungen, bei denen fleischlose(re) Ernährung unter Umständen Abhilfe schaffen kann.
Ethische Gründe
Auch bestimmte ethische Vorstellungen sind für manche Menschen ein Grund für den Verzicht auf eine Fleischfütterung. Fragen danach, inwiefern der Mensch das Recht hat zur Nahrungsgewinnung Tiere zu Töten und wie man sich gegenüber allen Tieren möglichst fair verhalten kann und ob es vor diesem Hintergrund überhaupt möglich ist zwischen zwei Tierarten zu unterscheiden, spielt dabei eine große Rolle.
Zum Beispiel nach der Betrachtungsweise des Veganismus, nach der anderen Tieren im gleichem Maße wie dem Hund ein Lebensrecht ohne Ausbeutung (meint ungerechtfertigte Nutzung, nach Definition der Vegan Society) zugestanden wird, wäre es folgerichtig auch Hunde vegan zu ernähren – sofern diese nicht selbst darunter unzumutbar leiden würden.
Hundefutter ohne Fleisch – Kann man Hunde überhaupt fleischlos ernähren?
Hunde leben weltweit unter verschiedensten Umwelt- und Klimabedingungen in unterschiedlicher Nähe zu Menschen und ihren individuellen Kulturen. Gerade bei einem so anpassungsfähigen Tier, welches unsere Haushunde sind, stellt sich daher die Frage, inwiefern eine fleischlose(re) Ernährung für sie möglich ist. Dabei spielen im Diskurs insbesondere die Nährstoffversorgung, die Gesunderhaltung und die Stärkeverdauung eine vorherrschende Rolle.
Aktuelle Studienlage
Allgemein kann gesagt werden, dass die langfristigen Auswirkungen vegetarischer oder veganer Hundeernährung bisher kaum erforscht sind. Ein wenig weiter fortgeschritten ist die Forschungssituation rund um die Stärkeverdauung von Hunden.
Nährstoffversorgung und Gesunderhaltung
Vor allem darüber, ob die Nährstoffversorgung durch und die Verträglichkeit von einigen pflanzlichen Produkten, gerade von Ersatz-Proteinquellen wie Hülsenfrüchten und (Pseudo-)Getreiden, für eine langfriste Gesunderhaltung ausreicht, ist noch nicht genug bekannt, um fundierte Aussagen treffen zu können.
Bei den meisten der vorliegenden Arbeiten handelt es sich um Umfragen von Forschenden aus den Tierschutz- statt Tierernährungswissenschaften, die nur geringe Zeiträume oder Probanden umfassen und nur wenige Gesundheitsparameter überprüfen.
So zum Beispiel in einer britischen Studie von 2016, wo die Forschenden rum Andrew Knight unterstreichen, dass sich das Auftreten von Schwächen hinsichtlich der Nährstoffzusammensetzung in den überprüften vegetarischen Futtersorten nicht von den fleischhaltigen Alternativen unterschied oder in einer nachfolgenden Studie des Teams aus 2021, die nach einer Besitzer:innen-Umfrage (etwa 2.300 Hunde) zu den Futter-Vorlieben ihrer Hunde ergab, dass pflanzlich gefütterte Hunde mindestens genauso gesund seien wie die mit Fleisch gefütterten Hunde und diese auch ähnlich gerne fressen.
Eine in Brasilien durchgeführte Untersuchung aus 2020 von Zafalon et al. ergab wiederum, dass alle drei verfügbaren veganen Hundefuttersorten die gesetzlichen Nährwert-Vorgaben nicht ausreichend erfüllen.
Weiterführende Forschung hierzu ist insbesondere daher wichtig, weil sich viele Nährstoffimbalancen gar nicht oder erst viel zu spät im Blutbild nachweisen lassen. Daher ist es nicht so einfach wie oft angeführt, pflanzliche Rationen anhand von Bedarfszahlen äquivalent zu regulärem Futter zusammenzustellen. Neben den Bedarfszahlen muss entsprechend auch anderen Aspekten, wie Verdaulichkeiten, Proteinqualitäten und Veträglichkeiten, Aufmerksamkeit geschenkt werden.
Stärkeverdauung
Eines der häufigsten Argumente im Diskurs um die Ernährung des Hundes ist, dass dieser ein Fleischfresser ( = Karnivore) sei und daher eine hauptsächlich aus Fleisch bestehende Ernährung benötigen würde. Häufig wird diese Annahme aus der Tatsache abgeleitet, dass Hunde in der biologischen Systematik in der Ordnung der Carnivora zu verorten sind. Der taxonomische Rang sagt aber nicht zwingend etwas über die Ernährungsform der Tiere aus, sondern beschreibt Verwandtschaftsverhältnisse. Innerhalb dieser weiteren taxonomischen Verwandtschaft der Haushunde finden sich nämlich vom ausgesprochenen Fleischfresser (Eisbär), über Allesfresser (Füchse) bis hin zu Pflanzenfressern (Großer Panda) verschiedenste Nahrungsgewohnheiten.
Betrachtet man diese Vielfalt, auch innerhalb der nächsten Verwandten – den Wölfen, die als Nahrungsgeneralisten weltweit verschiedenste Habitate besiedeln können – zeigt das ein hohes Maß auch an innerartlicher Anpassungsfähigkeit auf. Beim Haushund spiegelt sich dieses Potential, neben einer beispiellosen Formen-, Farben- und Charaktervielfalt, auch in der Modifikation der Ernährung wieder. Besonders bemerkenswert ist hierbei die Entwicklung der Stärkeverdauung im Zuge der Domestikation, die die Notwendigkeit für hohe Fleischanteile in der Hundeernährung in Frage stellt.
In einer Studie von Axelsson et al. (2013) wurden die Genome von Wölfen und Hunden verglichen. Es fielen einige Genregionen auf, die sich im Laufe der Domestikation verändert haben. Darunter einige, die an Stoffwechsel und Verdauung beteiligt sind. So haben Hunde in der Regel deutlich mehr Genkopien von Genen, die an der Stärkeverdauung beteiligt sind. Eines dieser Gene ist das AMY2B-Gen, welches unter anderem Einfluss auf die Amylase-Aktivität hat. Amylase ist ein wichtiges stärkespaltendes Enzym und damit notwendig bei der Verdauung pflanzlicher Nahrung.
Im Jahr 2014 zeigte eine Studie von Arendt et al., dass die Anzahl dieser AMY2B-Genkopien sich nicht nur zwischen Wolf (in etwa zwei Gen-Kopien) und Hund ( im Durchschnitt etwa 10 Gen-Kopien), sondern auch zwischen Hunderassen unterscheidet. Doch auch wenn zwischen den Rassen Muster zu erkennen sind, kann das Stärkeverdauungspotential eines einzelnen Hundes nicht alleine mit der Rassezugehörigkeit erklärt werden, da sich auch innerhalb einer Rasse Schwankungen zeigen.
Ein Zusammenhang mit der neolithischen Revolution sahen Arendt et al. in einer Studie aus 2016. Einige wenige Hundetypen aus Regionen, in denen nie oder erst kürzlich Landwirtschaft betrieben wird, wie Dingo oder Sibirischer Husky, haben nur sehr wenige Kopien des AMY2B-Gens. Es handelt sich also vermutlich um eine direkte Anpassung an menschliche Nahrungsgewohnheiten.
Eine Studie aus dem Jahr 2019 von Pajic et al. bekräftigt den Zusammenhang von Genkopien und Nahrungsgewohnheiten. Nicht nur Hunde, sondern auch andere Allesfresser wie Mäuse oder Schweine, die seit tausenden Jahren mit dem Menschen in engem Kontakt leben, haben sich sehr schnell an die hohen Stärkeanteile in menschlicher Nahrung angepasst.
Welche Rolle kann die Hundezucht in diesem Zusammenhang spielen?
Auch wenn die Zahl der AMY2B-Genkopien zwischen und innerhalb von Rassen schwankt, sind Muster zwischen den Rassen zu erkennen, die zeigen wie groß das Potenzial durch entsprechende Selektion sein kann. Natürlich ist Stärkeverdauung nur eine Facette, wenn es um die Verwertung pflanzlicher Nahrung geht, aber was wäre, wenn man „Pflanzliche Verträglichkeit“ in Zukunft als weiteres Zuchtziel etablieren könnte, um weniger auf tierische Futtermittel angewiesen zu sein?
Evolution - auch von Haustieren - bedeutet zwangsläufig Veränderung, und die aktuelle Situation der organisierten Hundezucht bedarf an vielen Stellen sowieso einer Überarbeitung; auch im Sinne der Ressourcenschonung und veränderter Ansprüche an Hunde sind Überlegungen hin zur Schaffung von mehr kleinen bis mittelgroßen Begleithundeschlägen sicherlich sinnvoll. Ob und wie eine gezielte Selektion hin zu ganzheitlich verbesserter Pflanzenverdaulichkeit möglich ist, müsste interdisziplinär erforscht werden.
Fazit
Insbesondere aus der Nachhaltigkeitsperspektive macht es Sinn sich näher mit dem Fleischanteil sowie mit der Zusammensetzung und der Herkunft dessen auseinander zu setzen. Als wichtige Stellschraube des CO2 Fußabdruck unser Hunde, kann die Reduktion des Fleischanteils und insbesondere des Muskelfleischanteils einen großen Unterschied machen. Ein kompletter Verzicht auf tierische Produkte ist hiermit jedoch nicht unbedingt begründbar, solange neben der Reduktion des Muskelfleischanteils, auf nachhaltige Quellen geachtet wird und lange Importwege vermieden werden.
Neben Umwelt- und Klimaschutzgründen zeigt die Tierethik bei der Fleischfütterung moralische Zwickmühlen im Umgang mit Tieren auf, die sicherlich eine detailliertere Auseinandersetzung wert sind.
Insbesondere die Studienlage zur Stärkeverdauungsfähigkeit von Hunden zeigt, dass es sich bei Hunden nicht um reine Fleischfresser handelt. Eine deutlich fleischreduzierte oder gar fleischlose Ernährung könnte unter bestimmten Umständen möglich sein.
Aufgrund der derzeit noch eher dünnen Studienlage, insbesondere zur Nährstoffversorgung und langfristigen Auswirkungen, ergibt sich ein breites Meinungsbild über die Eignung einer vegetarischen oder veganen Ernährung für Hunde – so zum Beispiel auch unter Tierärzt:innen oder Ernährungberater:innen. Während die einen dazu raten bestimmte Fleischanteile möglichst nicht zu unterschreiten, sind andere der Meinung, dass eine pflanzliche Hundeernährung zumindest für adulte, nicht-säugende Tiere nach einer professionellen und individuellen Beratung meist durchführbar ist.
Belegbare Aussagen zu langfristigen Auswirkungen können letztendlich aber erst mit weiterführender Forschung getroffen werden. Bis dahin gilt es, Vorsicht gegenüber absoluten Aussagen walten zu lassen.
Quellen & weitere Links zum Thema
Annsophie Schmidt
Annsophie hat Forstwissenschaft (B.Sc.) studiert und widmet sich aktuell ihrem Masterstudium Evolution, Ecology and Systematics. Daneben absolviert sie gerade gemeinsam mit ihrem Airedale Terrier Fiete eine Ausbildung zum Artenschutzspürhunde-Team.