Pia-Céline Delfau – über Psychologisches Coaching für Menschen mit Hund und Inklusion in der Hundewelt
In diesem Interview gibt uns die Psychologin und Hundetrainerin Pia-Céline Delfau einen Einblick in ihren persönlichen Werdegang und ihr Leben mit Hund. Darüber hinaus sprechen wir über ihr „Psychologisches Coaching für Menschen mich Hund“ und über das Thema Inklusion in der Welt der Hunde. Dabei nehmen wir insbesondere Bezug auf die Inklusion von hörbehinderten Menschen und diskutieren wie jeder etwas dazu beitragen kann auch das Leben mit Hund ein kleines Stückchen inklusiver zu machen.
Dieser Artikel ist ein Transkript unserer „Hinter den Kulissen der Hunde-Trainer:innen“-Reihe im Cleverdog Podcast. In dieser Reihe spricht Merle mit unterschiedlichen Hundetrainer:innen über ihre persönliche Geschichte, ihre eigenen Hunde, ihre Philosophie und Lieblingsthemen. In dieser Folge ist Pia-Céline Delfau zu Gast – Pia ist Psychologin und Hundetrainerin aus Hannover und verbindet beides in ihrem Coaching für Menschen mit Hund. In diesem Interview erzählt sie was es mit dem Psychologischen Coaching auf sich hat und wir sprechen über das Thema Inklusion von gehörbehinderten Menschen in die Welt der Hunde.
Über Pias persönlichen Weg
Merle: Hallo Pia, herzlich willkommen im Cleverdog Podcast! Ich freue mich, dass du da bist und uns heute einen Einblick in deine Arbeit geben möchtest.
Pia: Hallo Merle, vielen Dank für die Einladung! Ich freue mich sehr, dass ich dabei sein darf.
Merle: Sehr gerne! Ich habe es in der Einleitung schon so ein bisschen vorweggenommen – du bist Hundetrainerin aus Hannover aber nicht „nur“ das, sondern auch Psychologin. Darüber hinaus bietest du auch auch noch Training, Kurse, und Weiterbildungen für Menschen mit Hörbehinderung an. Eine dreifach superspannende Kombination, wie ich finde. Vielleicht magst du mal zu Beginn kurz erzählen, was genau dein Angebot so besonders macht.
Pia: Ja, gerne. Also ich habe mich Ende 2019, kurz vor der Pandemie – zum Glück wusste ich nicht, dass die kommt – selbständig gemacht und „Wegbegleiter“ gegründet, dort biete ich psychologisches Coaching für Menschen mit Hunden an. Das bedeutet ich vereine tatsächlich meine beiden Berufe, Psychologin und Hundetrainerin, ich arbeite mit Menschen und meistens auch gleichzeitig mit sehr herausfordernden Hunden. Auf der einen Seite müssen wir noch mit den Hunden arbeiten, da gibt es meistens einfach so bestimmte Themen, die den Alltag schwierig oder komplizierter gestalten und gleichzeitig aber auch mit den Menschen, die dann entweder in dieser Konstellation Themen entwickeln oder verstehen, dass es bei ihnen selber persönliche Dinge gibt, die es dem Hund total schwierig machen sich weiterzuentwickeln. Das ist mein Angebot. Das heißt jemand, der ausschließlich Hundetraining sucht und auch braucht, würde von dieser Doppelkombi ja gar nicht profitieren können.
Merle: Hundetraining und Psychologie, wie du es beschrieben hast, ist ja schon ein besonderes Angebot. Obwohl man meinen könnte, dass diese Themen gar nicht so fern voneinander sind. Es gibt aber trotzdem gar nicht so viele Menschen wie dich, die darauf spezialisiert sind und diese beiden Richtungen kombinieren. Daher stellt sich für mich die Frage, wie man eigentlich dazu kommt, dies zu verbinden und vor allem, welchen Weg man gehen muss, um das Coaching anbieten zu können?
Pia: Ja, also ich habe zuerst Psychologie studiert und eigentlich war ich mir relativ lange sicher, dass ich im im psychotherapeutischen Bereich oder vielleicht in der Forschung arbeiten wollte. Nach meinem Studium hab ich dann auch im therapeutischen Bereich erstmal gearbeitet und bin dann schwanger geworden. Ich bin in Elternzeit gegangen, in der ich eine Ausbildung zur Hundetrainerin gemacht habe. Das habe ich erstmal für mich gemacht, mit damals zwei herausfordernden Hunden – so ein bisschen der „Klassiker“. Die leben auch noch, aber heute finde ich sie nicht mehr herausfordernd, es hat sich sehr viel verändert bei mir und meinen Hunden. Und in der Ausbildung, zu der ich tatsächlich auch immer mit meinem Kind hingefahren bin, entstand die Idee das zu kombinieren. Manchmal hätte ich das auch einfach selbst gebraucht, insofern, dass es mir manchmal nicht tief genug geht. Dennoch bin ich ganz lange um diese Idee herumgeschlichen. Eigentlich hatte ich auch vor, nach der Elternzeit auch noch die Fachausbildung zur Psychotherapeutin anzuschließen und ich glaube einen Monat, bevor das losgehen sollte – ich hatte auch schon einen Platz – habe ich dann doch alles gecancelt und habe mir gesagt, dass ich mir diese Idee, diesen Traum jetzt zutraue und es einfach ausprobiere. Wenn es nicht funktionieren sollte, dann habe ich einfach ne coole Erfahrung gemacht. Es hat aber alles sehr gut funktioniert, war also absolut die richtige Entscheidung und ich bereue es bis heute gar nicht, dass ich diesen Weg dann so gegangen bin.
Merle: Das heißt du hast schnell gemerkt, dass da auch wohl ein Bedarf da ist?
Pia: Ja, absolut.
Merle: Okay, jetzt doch mal zu diesem „Klassiker“ zurück denn du hast gerade angesprochen hast, dass deine Hunde dich sozusagen auf diesen Pfad gebracht haben. Wann bist du überhaupt auf den Hund gekommen, auch erst im Erwachsenenhalter, oder wie manche schon mit Hund groß geworden?
Pia: Ich bin tatsächlich schon mit Hund groß geworden, wir hatten nur einen in der Familie, aber ich habe davor auch immer sämtliche Hund in der Nachbarschaft ausgeführt von den Leuten, die Vollzeit gearbeitet haben. Oder ich hatte Hunde in Pflege, wenn Leute in den Urlaub gefahren sind. Aber so richtig meinen ersten eigenen Hund für mich, für den ich die volle Verantwortung trage, den habe ich so mit Anfang zwanzig geholt – das war Keno. Dann ein paar Jahre später ist noch Zora, meine Hündin, dazugekommen.
Merle: Du hast eben gesagt deine Hunde waren herausfordernd, aber heute siehst du sie nicht mehr als besondere Herausforderung. Was waren das denn für Themen, die ihr gemeinsam bearbeiten musstet?
Pia: Bei Keno war es so, dass ich wirklich unfassbar naiv war, wenn ich so zurückdenke – okay, wow, das war schon einfach wirklich unfassbar. Aber hey, ich war auch einfach jung, hatte tatsächlich damals schon die Idee dass ich gerne was im tiergestützten Bereich machen würde und bin dann auf Keno gestoßen. Da bin ich der Meinung, dass das auch eine absolute Fehl-Vermittlung war, obwohl er natürlich trotzdem der beste Hund der Welt ist. Er kommt ursprünglich aus Russland, hatte Ressourcen Aggressionen und hat auch einfach alles gefressen was auf der Straße lag – Zigarettenstummel waren seine Leibspeise.
Eigentlich wollte ich keinen Hund aus dem Ausland. Ich sehe den Auslandstierschutz auch ein bisschen kritisch. Wenn er gut betrieben wird ist das ne richtig gute Sache, aber da wird halt auch viel Schindluder getrieben. Bei Keno wars so, dass es sich nach zwei Wochen bereits so ausgeweitet hatte, dass er mich im Grunde genommen aus meinem Wohnzimmer verwiesen hat als ich mein Mittagessen essen wollte. Und kurz darauf fing es auch mit ganz bestimmten Triggern an – weiße Transporter und so. Wenn es für ihn ganz schlimm war, ist er einfach steil gegangen oder sogar dissoziiert. Weißhaarige Männder waren ebenso furchtbare Auslöser für ihn und vor allem weißhaarige Männer mit Stöcken, egal ob das jetzt Walkingstöcke oder Gehstöcke waren. Da hat er teilweise, wenn er so gestresst war, alles attackieren wollen, von Fahrradfahrern über fahrende Busse bis zu anderen Hunden. Hundebegegnungen waren auch ein riesen Drama und lange, lange ein großes Thema.
Ja, und da stand ich dann halt so naiv – „Ich kann voll mit Hunden umgehen, denn ich hab ja immer welche Gassi geführt!“– mit dem ersten eigenen Hund da, der halt irgendwie jedem am Liebsten an die Gurgel springen wollte. Ich habe auch drei Narben von diesem Hund, aber nur aus den ersten zwei Jahren, das war einfach speziell und es gab viel auf und ab. Und, ganz ehrlich, gabs auch mal den Moment an dem ich dachte: jetzt ist der Punkt erreicht, ich schaffe das nicht mehr, ich kann nicht mehr!
Und ich wollte ihn auch weitervermitteln. Da ich den Hund einfach sehr ehrlich beschrieben hatte, habe ich aber niemanden gefunden. Jeder Gnadenhof hat dankend abgelehnt, da die genug solcher Fälle hatten. Und dann hab ich mir gedacht, dass ich zwei Möglichkeiten habe. Den Hund zu behalten, mit allem was dazu gehört und mit Management betreiben oder aber es zu ertragen und auszuhalten, dass es nicht mehr in der eigenen Hand liegt und er vielleicht noch zigmal weitervermittelt wird. Und dann hab ich mich entschieden ihn zu behalten. Das war so der absolute Wendepunkt weil ich das Gefühl hatte, dass meine Akzeptanz von meinen und auch seinen Grenzen wirklich dazu geführt hat, dass einfach ein Korsett aus Erwartungen gerissen ist. Dann hat sich da noch ganz, ganz, ganz viel entwickeln können bei ihm.
Merle: Da habt ihr ja beide schon ganz schön viel durchgemacht. War das dann für dich so ein Knackpunkt, weswegen dir heute wichtig ist Menschen in solchen Situationen zu unterstützen?
Pia: Ja, jetzt ist er zwölf, aber in diesen ersten zwei Jahren habe ich wirklich viel geweint und hatte einfach so oft blaue Flecken. Habe auch einfach so viele Fehler gemacht – so Dinge, wo ich im Nachgang denke: meine Güte, so konnte es ja auch einfach nicht klappen! Aber damals hätte ich eben manchmal jemanden gebraucht der das dann tatsächlich nicht nur auf Hundetrainingsebene angeleitet hätte, sondern sich auch mal hinstellt, zuhört und Verständnis für die Lebenssituation zeigt. Da geht es ja nicht darum, direkt ne Lösung zu präsentieren, sondern einfach zu signalisieren „Ich höre dich, ich sehe dich, ich bin da!“
Merle: Das kann dann ja auch wie eine Spirale sein, die sich immer enger schnürt, wenn man selbst immer verzweifelter ist, sich alleine vorkommt und es immer weiter geht. Und das überträgt sich dann selbstverständlich auf den Hund. Ganz unabhängig davon, dass man so natürlich auch nichts wirklich bearbeiten kann, weil da – egal wie viel man weiß – immer so ein „Brett vorm Kopf“ ist und so viel Emotionen im Raum stehen. Ich glaube das ist eine ganz passende Überleitung, um aufs psychologische Coaching zu sprechen zu kommen. Denn alle Hundetrainer:innen, die hier in unseren Podcast kommen, frage ich immer vorab was für Themen sie denn gerne besprechen möchten, und du hast gleich zwei spannende Themen mitgebracht. Einmal das psychologische Coaching, da gehen wir jetzt zuerst drauf ein, und danach besprechen wir noch das Thema Inklusion.
Psychologisches Coaching für Menschen mit Hund
Was ist psychologisches Coaching?
Merle: Wie du ganz persönlich zum psychologischen Coaching für Mensch und Hund gelangt bist haben wir ja gerade schon von dir erfahren. Kannst du jetzt mal ausführen, was psychologisches Coaching wie du es nennst eigentlich jetzt wirklich bedeutet?
Pia: Bei mir ist es tatsächlich so, wenn jemand mit mir arbeiten möchte, besprechen wir zunächst vorab, welche Themen wir angehen wollen – wir können ja nicht alle Fässer gleichzeitig aufmachen. Dann überlegen wir gemeinsam, was wir aus der Hundetrainer-Perspektive anschauen wollen und was wir eher im Bereich psychologisches Coaching verorten. Das trenne ich tatsächlich auch räumlich und örtlich. Was bedeutet, dass das Hundetraining in der Regel draußen stattfindet, also im Alltag. Das andere sind meine Praxisräume, wo ich auch sage, dass der Hund, sofern er keinen Trennungsstress hat, lieber zu Hause bleiben sollte, damit wir dort wirklich mit dem Menschen arbeiten können. So bemerkt der Hund nicht auch noch aufkommende Emotionen und kommt nicht in die Situation, dass er in der fremden Umgebung nicht weg kann.
Mit einer Person hatte ich zum Beispiel neulich das Thema, dass der Hund Übersprungshandlungen zeigt und in Besuchssituationen sich umdreht und nach seinem Menschen schnappt. Das ist für die Person so schlimm gewesen, auch weil ihr – aber während dem Termin erst – klar geworden ist, dass sie mit drei Jahren sehr heftig von einem Hund gebissen wurde mit einer langen Leidensgeschichte infolge dessen. Das heißt ihre Angst, steht nicht unbedingt in Relation dazu was der Hund zeigt. Ich will das Verhalten des Hundes nicht bagatellisieren, aber der Hund drehte sich nicht in Beschädigungsabsicht um, sondern es handelte sich mehr um ein hysterisches Abschnappen in die Luft. Das hat aber bei der Person so starke Ängste ausgelöst, dass sie sich nicht mal mehr auf den Hund zubewegen oder irgendwas mit ihm tun konnte. Wenn sie so eine Angst vor dem eigenen Hund hat, zumindest in dem Kontext, wird es schwierig nur am Hund zu arbeiten, der ja aber auch ein Problem hat. In solchen Situationen arbeiten wir dann im Coaching-Bereich. Es geht ja nicht darum, den Hund einfach nur in seine Schranken zu verweisen von wegen „Reiß dich mal zusammen!“ sondern ihm zu vermitteln „Pass mal auf, es ist alles gut. Deine Sorgen kann ich verstehen, aber die brauchst du hier gar nicht zu haben. Ich als Mensch bin für dich da und pass auf. Du kannst aus diesen und jenen Strategien noch wählen, um die Situation zu bewältigen.“
Merle: Ich finde das ja so schön, wie du es auf deiner Website beschreibst:
Menschen und Hunde sind einander in ihren grundlegenden Bedürfnissen, in ihren Wahrnehmungs- und Verarbeitungsmöglichkeiten so ähnlich – und trotzdem kann es passieren, dass sie völlig aneinander vorbei kommunizieren. Wenn wir uns Zeit nehmen, einander zuhören und das Verhalten unserer Hunde als Ausdruck ihrer Bedürfnisse verstehen, dann kann das gemeinsame Leben beiden Seiten sehr viel mehr Freude schenken. Ich bin davon überzeugt, dass jedes Individuum ganz besondere Kompetenzen in sich trägt. Der nachhaltigste Weg ist also, wenn beide Seiten sich gesehen fühlen – das ist ein Grundstein, um entspannt lernen zu können und flexibel in seinem eigenen Verhalten zu bleiben. Wegbegleiter setzt daher auf die Beziehung zwischen Mensch und Hund. Du lernst, sowohl dich selbst als auch deinen Hund besser zu lesen und Einfluss zu nehmen auf die Beziehung zwischen euch. Step by step wirst du deine in dir schlummernden Fähigkeiten entfalten, sodass du deinen Hund in schwierigen Situationen souverän leiten kannst. Als Psychologin und Hundetrainerin habe ich einen besonders umfassenden Blick auf Mensch und Hund im Team.
Merle: Das finde ich so schön, weil da ganz klar wird, dass der Fokus bei dir nicht hauptsächlich auf dem Hund, wie im klassischen Hundetraining liegt, sondern dass auch der Mensch das Recht hat seine eigenen Baustellen mitzubringen und dass diese halt auch in eurem Training und insbesondere im Coaching im Fokus stehen dürfen. Ich habe ja selber schon einige unterschiedliche Hundetrainer:innen besucht und sage immer gerne, dass ein gutes Hundetraining sich schon immer ein bisschen wie Therapie anfühlt – so stelle ich mir das zumindest vor. Ich meine auch, danach immer etwas mehr über mich selbst erfahren zu haben. Aber klar, die meisten Hundetrainer:innen sind dazu ja auch gar nicht ausgebildet, diese Leistung zu erbringen. Sie setzen einen anderen Fokus. Alles andere wäre natürlich auch nicht professionell beziehungsweise seriös. Aber ich finde die Vorstellung, sich selbst ein bisschen mehr in den Fokus zu rücken wundervoll, weil ich glaube, dass es bei sehr vielen Menschen ein Thema ist, auch die eigenen Emotionen mehr in den Vordergrund rücken zu dürfen. Gerade in der Kommunikation mit Tieren.
Pia: Ich meine, dass wir generell in Beziehungen, denen zu Tieren – und insbesondere zu Hunden – sehr viel ja auch von uns selbst auf unser Gegenüber projizieren. Also ich will jetzt nicht das Klischee bedienen von der Psychologin, die leichtfertig von Projektion spricht. Aber es ist ja schon so, dass wir auch etwas mitbringen und das wir Bilder von anderen haben, die vielleicht nicht unbedingt etwas damit zu tun haben, wie andere tatsächlich sind. Wenn ich mich dann aber nur mit meinem Gegenüber beschäftige, und nicht mit mir und meinen Bildern, dann glaube ich, dass man in bestimmten Konstellationen manchmal vielleicht über einen bestimmten Punkt nicht hinauskommt.
Merle: In unserem Vorgespräch kam zu diesem Thema auch die Frage auf: „Warum holen wir uns eigentlich einen Hund und warum ausgerechnet diesen Hund?“ – Mit dieser Entscheidung beginnt die Thematik ja bereits.
Pia: Absolut, absolut. Allein schon die Frage: Für welche Rasse entscheide ich mich? Warum hat genau diese Optik für mich irgendwie was Entscheidendes? Wenn der Hund beschrieben wird, warum denke ich bei bestimmten Bereichen vielleicht, dass ich dies oder jenes wohl schon hinkriege oder sage mir „So dramatisch wird das nicht!“ oder „Das kann ich schon!“ oder auch „Das wird doch spannend!“ – was haben wir für Traumbilder im Kopf vom Leben mit Hund und warum? Teilweise ist es ja auch so, dass die Traumbilder, finde ich, auch einfach so stark gesellschaftlich verzerrt sind und sich irgendwie entwickelt haben aber, manche zumindest, nicht wirklich erfüllt werden können. Und was soll der Hund eigentlich für mich erfüllen? – Also die haben ja schon einen gewissen Sozialpartner-Status, unsere Hunde. Und welche Rolle genau soll der Hund einnehmen? Ist mein Hund mein Kind- oder mein Partnerersatz? Soll er mich zusammen bringen mit anderen Menschen oder eben gerade nicht? – solche Dinge kann man sich mal fragen.
Oft ist das Beantworten dieser Fragen nicht unbedingt angenehm. Dann versteht man, dass man da irgendwo ein Bedürfnis hat, was der Hund stillen soll, was unter Umständen eventuell nicht funktionieren kann. Aber es ist ja wichtig zu erkennen weil ich dann schauen kann, was ich bräuchte damit es mir besser geht, wenn ich es nicht vom Hund bekomme. Bedürfnisse sind ja erstmal legitim.
Merle: Beim Thema Hundekauf sag ich ja immer gerne, dass man selbst erstmal richtig egoistisch sein sollte. Dass man zuerst auf sich selbst schaut, sogar bevor man sich Gedanken zur Rasse oder Herkunft des Hundes macht: Was will ich eigentlich, welche Ansprüche stelle ich, wie erträume ich mein Zusammenleben mit dem Hund? Dort ehrlich sein und vielleicht auch andere Menschen aus dem Umfeld miteinbeziehen, die einem da auch eventuelle Illusionen nehmen können. Findest du auch, dass die Menschen dabei viel zu selten an sich selbst denken und den Hund immer so in den Fokus rücken? Beispielsweise auch, wenn es um Probleme geht? In der Regel wird ja immer in der Vordergrund gerückt, dass der Hund ein Problem hat.
Pia: Da erlebe ich tatsächlich beides. Ich habe sowohl Menschen zu sensibilisieren, dass der Hund dem erträumten Bild nicht entspricht, da muss man gucken was man daraus jetzt noch machen kann. Ich habe aber auch andere Fälle, die wir dann im psychologischen Coaching besprechen, wenn nicht parallel grad noch der Hund daneben steht und Radfahrer vorbei fahren und drei Hundebegegnungen passieren. Oder wenn ein Hund Trennungsstress hat, man aber alleine lebt und für den Hund verantwortlich ist, dann ist das wie mit nem Kind – organisier dir Hilfe, ein kleines Minidorf. Das kann keiner alleine wuppen, das ist einfach teilweise eine riesen Belastung. Oder, wenn man immer hochkonzentriert sein muss, wenn man mit dem Hund rausgeht, damit niemand zu Schaden kommt, sollte man an einem „Scheißtag „ vielleicht einfach mal raus in die Pampa fahren und alles andere „vermeiden“ oder den Hund einer Person anvertrauen, die gut mit ihm umgehen kann, wenn das für den Hund stressfrei ist. Und wenn er gut alleine bleiben kann, dann geh raus und such dir einfach noch ein anderes Hobby, um etwas Abstand zu gewinnen. Für uns ist es ja total logisch, unser Handy zu laden und das Auto zu tanken, aber bei unseren eigenen Energiereserven riskieren wir, auf Grund zu fahren. Ich denke:
Gerade mit einem herausfordernden Hund ist es wirklich wichtig, dass ich auch für mich selbst sorge. Wenn es mir gut geht, dann kann es ja auch dem Hund nur gut gehen, das ist ja irgendwie so wie mit Kindern. Wenn ich mich völlig verausgabe kann ich am Ende nicht mehr empathisch reagieren. Wenn ich dann stattdessen emotional reagiere und bestimmte Situationen selbst nicht mehr verarbeiten kann, gewinnt am Ende niemand was.
Wie arbeitet Pia in ihrem Psychologischen Coaching für Menschen mit Hund?
Merle: Du hast ja gerade schon ein paar Beispiele angerissen. Was sind das noch für Problematiken, mit denen Leute auf dich zukommen? Womit ist man bei dir gut aufgehoben?
Pia: Zum Beispiel arbeite ich gerne und auch häufiger mit Themen bezüglich Aggressionsverhalten. Das fängt bei völlig angemessenem Aggressionsverhalten an, denn das ist ja perse erstmal normal. Danach ist dann die Frage ob es adäquat ist, aber der Mensch es anders empfindet, bis hin zum übersteigerten Aggressionsverhalten – sehr extrem emotionale Reaktionen von Seiten des Hundes, also kaum mehr Zugriff auf Impulskontrolle oder auch Autoaggression.
Dann aber auch das klassische Thema Jagdverhalten, da müssen wir natürlich Alternativverhalten lernen und der Mensch muss den Hund lesen können. Aber wenn der Mensch totale Ängste hat, dass der Hund gleich abhaut und sich die schlimmsten Horroszenarien ausmalt, dann müssen wir auch daran arbeiten. Dann kann man prüfen, ob das überhaupt der Realität entspricht, oder der Hund einfach jetzt vom Vertrauen des Menschen profitieren würde. Anschließend kann man klären was der Mensch braucht, um über seinen Schatten zu springen und sich darauf einlassen zu können.
Ein weiterer Klassiker wären Hundebegegnungen, da man sich da nicht nur mit dem eigenen, sondern auch mit fremden Hunden und fremden Menschen auseinandersetzen muss. Wie kann ich dort meine Grenzen wahren, ohne in den direkten Konflikt zu gehen? Wenn die Menschen emotional oder gestresst werden, dann ist es für die Hunde ja direkt vorbei.
Was ich bisher wenig hatte sind Hunde mit Trennungsstress. Aber oft haben hier die Halter:innen selber auch Trennungsstress, an dem man natürlich auch zuerst arbeiten muss.
Merle: Anfangs hast du ja schon über die Traumata deines eigenen Hundes gesprochen. Menschen bringen ja auch manchmal Traumata mit, die sich auf die Mensch-Hund-Beziehung auswirken können. Wo sind die Grenzen von dem, was du in deinem Coaching bieten kannst? Wo beginnt der Übergang zu einer Psychotherapie? Wann leitest du an eine:n Therapeut:in weiter?
Pia: Da komme ich mal auf das Beispiel mit dem Trauma zurück, dass mit dem erwähnten Hundebiss in Zusammenhang stand. Das ist ja ein anderes als wenn jemand in der Kindheit Gewalt erlebt hat und dann auf gewisse Stressoren und Konfliktsituationen reagiert. Da bin ich froh über meinen therapeutischen Hintergrund, denn die Grenzen zu wahren ist mir sehr, sehr wichtig. Bei Traumata ist die Frage wie tief man geht, da man bei falschem Umgang durch Selbstüberschätzung Thematiken aufwirbeln oder sogar verschlimmern kann. Da bin ich dann sehr ehrlich, vor allem wenn es gar nichts mehr mit dem Hund zu tun hat. Dann empfehle ich Hilfe woanders, und von der Krankenkasse ermöglicht, in Anspruch zu nehmen. Weil ich finde, dass einem das einfach zusteht, wenn man einen Bedarf hat. Dafür muss man auf keinen Fall mein Coaching zahlen. Da kann ich auch gerne Empfehlungen aussprechen, ob in Hannover oder online, welcher Therapiebereich und Anbieter passend wäre. Denn dafür muss es in die Tiefe gehen, und das braucht einfach Zeit.
Aber ich habe mich gerade im letzten Urlaub entschieden, spätestens Anfang 2023 die Therapie Ausbildung noch drauf zu setzen, weil ich gerne noch tiefer arbeiten möchte. Aber das geht in dem aktuellen Rahmen nicht, denn psychologisches Coaching ist Coaching und keine Therapie. Coaching ist großartig, man kann so viel bewegen, und ich finde da muss man im Sinne der Professionalität und auch der Fairness gegenüber den Kund:innen, die sich dir anvertrauen, absolut ehrlich bleiben.
Merle: Ich finde gut, dass du das so klar benennst. Da bin ich aber auch sehr gespannt, wie dein Weg weitergehen wird. Zum Psychologischen Coaching könnten wir sicherlich noch ewig weitersprechen, aber du hast ja auch noch ein zweites Thema mitgebracht. Abschließend zum ersten Block nur noch die bestimmt etwas herausfordernde Frage, ob du mal mit drei Worten beschreiben magst, was dir im Training und Coaching mit Mensch und Hund besonders wichtig ist.
Pia: Wertschätzung, Fairness und Selbstwirksamkeit. Letzteres muss ich vielleicht einmal kurz erklären. Mir selbst ist es unheimlich wichtig, dass die Leute am Ende aus meinem Coaching rausgehen und sagen „Cool, ab hier kann ich alleine weitergehen!“ Also ich find nichts gruseliger, als wenn Menschen andere Menschen ganz stark an sich binden und so ein Abhängigkeitsverhältnis entsteht. Es spricht überhaupt nichts dagegen, sich auch immer mal wieder Unterstützung zu holen, aber das aller aller allerwichtigste für mich ist, dass die Menschen das Gefühl haben, dass in ihnen jetzt das Können freigesetzt worden ist, mit etwas Hilfe von außen, den Weg den sie begonnen haben, weiter zu gehen.
Inklusion von hörbehinderten Menschen in der Hundewelt
Merle: Damit hast du ja einen perfekten Abschluss für diesen Themenblock formuliert und auch einen Übergang zum zweiten Thema Inklusion. Im Besonderen wollen wir über das Thema Inklusion von Menschen mit Hörbehinderung sprechen. Vielleicht werden sich die einen oder Anderen, die dich noch nicht kennen, wundern, aber du selbst bist im Alter von 19 Jahren ertaubt. Dennoch bist du hier zu Gast und wir reden so locker-flockig. Wie geht das eigentlich?
Pia: Also, man muss dazu sagen, dass ich schwerhörig geboren wurde. Aber ich hatte dann etliche Hörstürze und bin mit 19 eben komplett ertaubt und habe dann ein Cochlea Implantat bekommen. Das ist eine Prothese im medizinischen Kontext – so wie andere mit einer Prothese laufen können, so kann ich mit meiner Hörprothese hören. Wobei man sagen muss, dass ich auch damit nach wie vor schwerhörig bin. Und ich finde auch nach wie vor, dass die Technik beim „CI“ oft an ihre Grenzen stößt. Bei Gesprächen mit wenig Störgeräuschen, in ruhigen Räumen, mit wenigen Sprechern merkt man mir glaube ich sehr wenig an. Sobald es aber lauter wird – also im Straßenbereich, bei Festen oder ähnlichem, sobald ganz viele verschiedene visuelle Reize kommen oder ich das Gesicht der Sprechenden nicht mehr wirklich gut sehen kann, dann wird es für mich persönlich sehr herausfordernd.
Merle: Wir wollen hier heute über das Thema sprechen, weil wir sehen müssen, dass beim Thema Inklusion von Menschen mit Hörbehinderung noch lange nicht genug passiert ist, dabei wollen wir uns auch explizit dem Hundebereich widmen. Doch vielleicht magst du zunächst noch denjenigen, die sich mit dem Thema noch gar nicht auseinandergesetzt haben, einen ganz groben Überblick über die Herausforderungen, vor denen Menschen mit Hörbehinderung heutzutage stehen, geben.
Pia: Das klingt jetzt dramatisch, aber es ist wirklich so, dass Menschen mit Hörbehinderung im Alltag vor unfassbar großen Herausforderungen stehen. Das kann man sich, glaube ich, nicht ausmalen, wenn man sich bislang nicht damit beschäftigt hat. Das hat zwar mit dem Thema nichts zu tun, aber um das Ausmaß mal klar zu machen:
Es gibt bis heute keinen barrierefreien Notruf den man als gehörloser Mensch absetzen kann! Und das im Jahr 2021, in dem wir technisch so unfassbar weit entwickelt sind. Das geht manchmal nicht in meinen Kopf rein.
Pia: Schon in dem Bereich ist ja kaum Bewusstsein da, und natürlich erst Recht wenn es an Ausbildung, Weiterbildung und Beruf geht. Im Hundetraining dann ist es quasi gar nicht mehr existent, weil es auch einfach kaum Berührungspunkte gibt. Das soll auf keinen Fall ein Vorwurf sein, aber viele Menschen haben ja auch keine Gebärdensprachkenntnisse, die können das ja gar nicht anbieten. Das geht aber über zu so ganz simplen Dingen wie die Sozialen Medien, gerade im Hundetrainings-Bereich läuft ja wahnsinnig viel über Videos, Storys, Postings, teils mehrminütige Videos die nicht untertitelt sind. Das sind so Mini-Sachen, die aber natürlich auch den Einzelnen relativ viel Arbeit machen. Ich bin mir sicher, dass das Bewusstsein dafür einfach noch an vielen Stellen fehlt. Dabei entwickelt sich ja auch derzeit immer mehr technische Möglichkeiten, wie zum Beispiel Untertitel automatisch generieren zu können. Jedoch meist mit dem Gedanken dass Hörende, die unterwegs oder im Büro sind, die Untertitel nutzen. Das hat halt so einen bitteren Beigeschmack – jetzt wo die Hörenden beeinträchtigt sind, da gibt’s plötzlich Untertitel... aber ich schweife ab.
Merle: Du bietest dein Training ja auch ganz explizit für Menschen mit Hörbehinderung an. Mit welchen Themen sind Menschen, die nicht hören können, im Zusammenleben mit ihrem Hund denn konfrontiert?
Pia: Bei gehörlosen Menschen arbeite ich ganz ehrlich schlicht nur als Hundetrainerin. Das ist ganz unabhängig von dem psychologischen Coaching. Daher sind das ganz normale Fragen, zum Beispiel wie man den Rückruf aufbauen kann und andere ganz alltagsbezogene Dinge wie Leinenführigkeit und Hundebegegnungen. Aber auch das Alleinebleiben, Familiensituationen mit Kindern oder anderen Haustieren managen. Und dann haben gehörlose Menschen ja auch spannenderweise oft gehörlose Hunde. Das macht ja einen zusätzlichen Unterschied. Da muss man sich natürlich nochmal anders drauf einstellen und sich in den Hund hineinversetzen, um gegebenenfalls etwas durch die Augen auszugleichen, was der Hund noch so wahrnimmt und was mir sonst entgeht.
Merle: Das finde ich total spannend, dass dann teilweise auch gehörlose Hunde gehalten werden. Wie kommt das?
Pia: Es ist nur eine Theorie, aber ich denke zum einen liegt es daran, dass gehörlose Hunde häufiger aus dem Tierschutz kommen und es dort von Anfang an bekannt. Hörende Menschen mögen dann eher abgeschreckt sein, weil sie nicht wissen wie sie sich verständigen sollen, da sie eher lautsprachlich orientiert sind. Und vielleicht hat es auch ein Stück weit mit Identifikation zu tun. Da ist dann definitiv ein Kommunikationskanal, den beide so in der Form nicht nicht nutzen und nicht brauchen und wo andere Wege bestehen um miteinander zu kommunizieren.
Merle: Und was sind das dann für Wege wie miteinander kommuniziert wird?
Pia: Im Grunde genommen sind das ja eigentlich die Wege, von denen auch alle hörenden Hundehalter:innen profitieren, nämlich visuelle Wege. Darüber wird auch in ganz ganz vielen Hundeschulen gesprochen – also über die Körpersprache des Menschen. Und da ist es oft auch so, dass die Menschen sich ihrer eigenen Körpersprache gar nicht mehr so bewusst sind also dieses „wie stehe ich, wie drehe ich mich, wie bewege ich mich eigentlich, wann bewege ich mich eben nicht und was kommuniziert das an mein Hund“. Das heißt, im Training mit gehörlosen Hundehalter:innen arbeite ich vorrangig tatsächlich einfach über Sicht-Signale und wenn es dann doch wichtig ist, dass man ein akustisches Signal hat, dann gibt es ja auch diverse Möglichkeiten, angefangen von der Hundepfeife bis hin zu sich, ganz simpel, gegen den Oberschenkel zu klopfen und damit ein bestimmtes Signal aufbauen.
Ich habe es manchmal im Hundetraining, dass die gehörlosen Hundehalterinnen mit ihren Hunden sprechen. Das ist aber auch etwas was auch damit zu tun hat, dass Gebärdensprache einfach lange lange in Deutschland gar nicht anerkannt war als Amtssprache – ich glaube das ist 2000 oder 2003 erst erfolgt. Und auch in den Schulen arbeiten, bis heute, ganz viele Lehrer:innen ohne entsprechende Sprachkompetenz. Und da muss ich auch manchmal klar machen:
Mit Hunden muss man gar nicht zwangsläufig lautsprachlich sprechen – wenn du das möchtest, dann tu es auf jeden Fall. Das ist deine Entscheidung. Aber du musst das gar nicht, um erfolgreich zu sein. Es reicht auch mit körpersprachlichen und visuellen Signalen oder Blickkontakten.
Pia: Also mit körpersprachlich ist nicht blocken, abdrängen, wegschieben und so weiter gemeint, sondern wirklich ganz banal angefangen von „beug dich nicht nach vorn, wenn der Hund eigentlich gerade auf dich zulaufen soll“, oder „lauf nicht frontal auf dein Hund zu“ und solche Geschichten eben.
Merle: Das eine ist natürlich die Kommunikation mit dem Hund, das andere aber auch die Kommunikation beispielsweise mit dem oder der Hundetrainer:in. Was ich mir auch durchaus problematisch vorstelle. Wir haben schon gesagt barrierefreie Weiterbildungs- oder Trainingsangebote sind eine Rarität und dass Hörbehinderte wie du ein Cochlea-Implantat haben ist ja auch nicht der Normalfall, oder?
Pia: Genau, und es will auch nicht jeder. Es gibt ja auch gehörlose Menschen die vielleicht die Option gehabt hätten aber es nicht möchten. Es handelt sich nämlich um eine große Operation, die mit vielen Risiken verbunden ist. Sowohl während der OP, als auch die Schmerzen danach. Als ich vor langer Zeit – ich werde 33 – mit 19 operiert wurde, hatte ich danach halt wirklich heftige Schmerzen und das ist echt abgebügelt worden. Da hat sich zwar zum Glück viel getan. Heute wird es auch ganz klar kommuniziert, dass Schmerzen auftreten können. Du hast dann ein Implantat an deinem Schädel und das ist natürlich ein Fremdkörper. Außerdem besteht auch das Risiko, wenn es kaputt geht, dass man erneut operiert werden muss. Auch wenn du in einen MRT musst, muss es zunächst explantiert werden. Bestimmte Dinge wie Tauchen darfst du nicht mehr, bestimmte Ballsportarten muss man sich gut überlegen, bei Kampfsportarten muss man sehr gut aufpassen, dass da wirklich nichts auf den Kopf geht – das ist schon auch mit vielen Risiken und Nachteilen verbunden. Das möchte nicht jeder.Manche sagen auch, dass sie absolut beheimatet und verwurzelt in in ihrer Gebärdensprachkultur und ihrem gebärdensprachlich orientierten Leben sind. Darüber hinaus, kann sich auch nicht jeder ein Implantat setzen lassen, also wenn du gehörlos geboren wurdest dann müsstest du dich eigentlich spätestens bis zum vierten Lebensjahr implantieren lassen, damit dein Gehirn die Möglichkeit hat das auditive Zentrum noch entsprechend zu entwickeln. Denn wenn du quasi sehr lange taub bist, von Geburt an, sich das visuelle Zentrum, mal ganz salopp gesagt, Bereiche aus dem auditiven Zentrum greift, sodass das gehörlose Menschen andere und mehr Möglichkeiten in der visuellen Verarbeitung und Wahrnehmung haben. Das ist dann aber eben schwierig, wenn ich von Geburt an taub bin und mich erst mit 15 implantieren lasse, dann sind die Erfolgsaussichten extrem gering damit tatsächlich Sprache verstehen zu können – Genau in diesem Bereich habe ich auch meinen Master in Neuropsychologie gemacht.
Merle: Ich wusste zwar schon, dass Sprache erlernen auch unterschiedlich schwierig sein kann für Menschen die nicht hören können. Aber, dass auch die deutsche Sprache für viele wie eine Fremdsprache ist, das wurde mir erst in unserem Vorgespräch bewusst.
Pia: Ja absolut. Du musst dir das so vorstellen, dass du eine Sprache lernst, die du aber nie hörst. Das ist dann ja schon der erste erschwerende Faktor.
Merle: Und wenn wir die Kommunikation mit Hundetrainer:innen anschauen – da fangen hier dann sicherlich schon die ersten Hürden an, oder?
Pia: Ja, ich meine theoretisch wäre ja die einfachste Lösung zu sagen “Hey komm, wir schnappen uns Dolmetscher:innen und dann geht's los”. Das wäre ja an sich nicht das Problem. Das eigentliche Problem ist, dass die Kostenübernahme nicht gewährleistet ist. Im privaten Bereich wird dir nichts bezahlt. Keine Dolmetscher:innen und auch keine Mikroportanlagen, als so ein Verstärker für Schwerhörige. Im beruflichen Kontext zwar schon, aber auch da musst du echt kämpfen und wirklich viel Verwaltungskram und bürokratische Hürden auf dich nehmen. Du musst teilweise bestimmte Finanzen offenlegen und so weiter, wenn du diese Hilfen beantragen willst. Aber im privaten Bereich gibt's das einfach nichts. Das heißt, alles was im privaten Bereich stattfindet wird grundsätzlich als Luxus betrachtet, und dass finde ich fatal, weil es ist kein Luxus ist am sozialen Leben teilzunehmen und Freizeitangebote wahrnehmen zu dürfen. Ich finde das ist etwas, das steht doch jedem zu.
Ich habe auch öfter mal, dass Trainerkolleg:innen auf mich zukommen und sagen “Hey Mensch, ich hätte ja total Bock das anzubieten. Sag mal gibt's da nicht Möglichkeiten?könnte ich mir nicht die Dolmetscher:innen suchen?” – Das ist ja ne geile Idee, scheitert aber leider daran, dass es in dieser Form nicht möglich ist.
Es gibt dann manchmal die Konstellation, dass muss man sich halt auch überlegen, wo studierende Gebärdensprachdolmetscher:innen Praxiserfahrung benötigen, aber die haben natürlich noch nicht das Niveau von jemandem, der bereits studiert und ausgebildet ist und wirklich schon viele Jahre in der Praxis gearbeitet hat. Das ist dann so als würde ich in England ein Training wahrnehmen wollen und meine Freundin mitnehmen, die halt ganz gut Englisch spricht. Das kann auch schon ganz gut helfen, aber es hat nicht dieselbe Qualität wie von einer fachlich kompetenten, dolmetschenden Person.
Merle: Ich glaube, das ist auch ein Thema bei dem mehr Bewusstsein geschaffen werden muss. Denn natürlich kann nicht jeder, der Gebärdensprache spricht, das auch mal zack-zack übersetzen. Also ich finde es immer Wahnsinn, wenn man zum Beispiel im Fernsehen simultane Übersetzungen sieht. Wahnsinnig beeindruckend und ich glaube, dass vielen gar nicht bewusst ist, dass dies nicht jeder einfach mal so machen kann.
Pia: Ja, das ist so, und dafür braucht man, denke ich, auch ein gewisses Talent. Ich könnte das jetzt glaube ich auch nicht unbedingt. Aber ich glaube, es ist einfach wichtig, dass die Leute anfangen mehr darüber nachzudenken. Das betrifft dann, wenn wir über Inklusion sprechen, ja auch nicht nur gehörlose Menschen. Allein schon in der Hundeschule, kann zum Beispiel eine einfache Wiese für Menschen mit Rollstuhl ein Problem darstellen, wenn sie gar nicht so einfach befahrbar ist.
Merle: Du hast gerade noch mal ganz klar gesagt, dass es kein Luxus ist sich einen Hund zuzulegen. Und es ist schon fast so eine philosophische Frage. Mensch und Hund Leben schon so lange miteinander, dass es sich wie eine Selbstverständlichkeit anfühlt. Viele könnten sich ein Leben ohne Hunde gar nicht mehr vorstellen und das ist dann tatsächlich etwas, was vielen Menschen mit Hörbehinderung einfach verwehrt wird. Würdest du sagen, dass mehr Menschen, die nicht hören können, sich einen Hund anschaffen würden, wenn dem nicht so viele Steine in den Weg gelegt werden würden ?
Pia: Ich glaube schon, ja. Also ich kenne natürlich viele Menschen, die sich trotzdem einen Hund holen, die sich sagen „Ich mache das jetzt irgendwie!“. Es gibt ja auch genug hörende Menschen, die es irgendwie ohne Hundeschule und Hundetraining alleine rocken und bei manchen Konstellationen läuft das auch einfach. Aber wenn wir das gesamtpolitisch betrachten, dann sind Hunde natürlich Luxus, wenn ich diese finanziellen Mittel anschaue die ich brauche, um mir ein Hund anzuschaffen. Aber wenn ich diese Mittel habe, dann ist es nicht mehr fair zu sagen „Naja, kannst dir zwar nen Hund anschaffen, aber alles andere bleibt dir verwehrt!“
Merle: Was können wir, also alle in der Hundewelt aktiven Personen, denn tun, um diese ein wenig inklusiver zu machen?
Pia: Also ich glaube, was alle tun können ist, dass sie mal gucken, welche Angebote sie zumindest barriereärmer gestalten könnten. Dass wir wirklich komplette Barrierefreiheit haben, das ist ein Ziel, das wirklich schwer zu erreichen ist. Barrierefreiheit hieße ja, dass beispielsweise der Trainingsort für jeden Menschen erreichbar sein müsste und das ist manchmal einfach schwierig, weil unter Umständen brauchst du ja vielleicht eine eingezäunte Wiese. Aber man kann sich für angebotene Seminare zum Beispiel überlegen, ob Menschen mit Rollstuhl überhaupt anreisen können oder man kann sich überlegen, ob vielleicht Kooperationen möglich sind. Gerade in den Großstädten, da gibt es dann teilweise sehr viele Dolmetscher:innen. Da kann man sich dann fragen, ob man sich vielleicht mit jemanden zusammen schließen kann, vielleicht irgendwie ein Geschäftsmodell miteinander aufbauen, so dass eine Win-Win-Situation entsteht. Vielleicht kann man auch Förderungsmittel beantragen, um das zu stemmen. Bis hin zum Social Media Bereich, da zu überlegen, die Bilder vielleicht auch mal zu beschriften, sodass sie auch Menschen mit Sehbehinderung vorgelesen werden können.
Merle: Das ist übrigens auf Instagram sehr leicht möglich, da gibt es nämlich die Option das solche Inhalte hinzuzufügen.
Pia: Das wusste ich selber noch nicht, cool! Instagram arbeitet auch derzeit daran, dass man zukünftig in den Stories und auch bei Instagram-TV Untertitel einblenden lassen kann. Ich meine bei YouTube und Facebook sind die schon relativ gut, man muss sie halt ein bisschen nachbearbeiten oder kontrollieren und das macht Arbeit. Aber vielleicht könnte man seine Stories vielleicht schonmal untertiteln. Also ich meine ich höre ganz gut, aber selbst ich bin dann manchmal davon betroffen, wenn ich gerade draußen stehe und es nicht mehr verstehen kann. Oder zum Beispiel Podcast-Aufnahmen, da hatten wir ja auch lange diskutiert, da hab ich für mich noch keine Lösung gefunden. Ich hätte total Bock, selber ein Podcast zu haben, aber ich denke mir dann, dass es richtig viel Arbeit wird das zu transkribieren. Aber das heißt, wenn ich anfangen möchte inklusiver zu sein und mein Angebot zu gestalten, dann ist das mit einem Mehraufwand für mich verbunden. Es würde momentan leider nicht anders gehen. Ich glaube aber, dass durchaus was möglich wäre, wenn da auf politischer Ebene mehr finanzielle Mittel locker gemacht werden würden und wenn einfach mehr Menschen laut werden würden. Ich meine es ist 2021, wo Instagram noch daran bastelt Untertitel zu ermöglichen. Aber wirklich, sowas verstehe ich einfach nicht. Das will nicht in meinen Kopf rein. Das müsste für ein so großes Unternehmen doch total easy umsetzbar sein.
Dann habe ich überlegt okay gut, ein Podcast inklusive Transkript wäre eine Schweinearbeit und die Ressourcen habe ich nicht. Stattdessen könnte ich vielleicht einen zusammenfassenden Artikel auf meinem Blog daraus machen oder zumindest Ausschnitte dessen. Dass man einfach anfängt, mal seine Fühler auszustrecken und ein bisschen nach links und rechts zu gucken. Zu gucken, wer mir denn eigentlich folgt. Was haben die Menschen so für Bedürfnisse. Nicht davon auszugehen, dass einem nur Menschen ohne Behinderung folgen.
Merle: Und wie du gerade sagtest, es ist natürlich ein großer Unterschied, ob ein großer, multinationaler Konzern daran arbeitet seine Angebote barrierefreier zu machen oder ob eine Einzelperson dies tut.
Wo du gerade das Thema Podcasts ansprichst; ich habe mir darüber auch sehr, sehr viel Gedanken gemacht, weil unser Ziel jetzt nicht nur barriereärmere Zugänge für Menschen mit Hörbehinderung waren, sondern zum Beispiel auch für Menschen mit Sehbehinderungen. Ein weiteres großes Thema ist da ja auch der Aufbau von Websiten. Und ich glaube, das „Barrieren abbauen“ in diesem Zusammengang ein treffender Begriff ist. Allerdings ist auch das nicht immer so einfach, gerade wenn man nicht über eine großes Team und nicht über ein riesengroßes finanzielles Budget verfügt. Was das Thema Podcast und transkribieren angeht, ist das sehr sehr viel Arbeit, es kostet sehr viel Zeit und letztendlich kostet es auch Geld – liebe Grüße an Annsophie an dieser Stelle, denn die ist nämlich gerade auch dabei, nach und nach unsere älteren Podcast Folgen zu transkribieren – Und das muss man sich zum einen natürlich leisten wollen, aber zum anderen auch leisten können. Hier kann ich dann auch durchaus verstehen, wieso manche diese Schritte eben nicht gehen. Du hast in unserem Vorgespräch so schön gesagt „Inklusion kann gar keiner alleine stemmen!”. Man darf sich da als Einzelperson oder kleines Unternehmen auch nicht zu sehr unter Druck setzen.
Pia: Man kann jetzt gerade gar nicht sehen, dass ich die ganze Zeit wie wild mit meinem Kopf nicke – also, ich kann dir da in allem nur zustimmen. Und ich finde, das darf auf gar keinen Fall so sein. Das ist wie mit Klimaschutz. Von wegen der Einzelne muss jetzt da ganz viel machen – ja ne, is klar. Klar können und sollten wir als Einzelpersonen uns damit auseinandersetzen, was wir tun können, aber im Rahmen unserer Möglichkeiten. Inklusion umzusetzen erfordert Ressourcen und ich finde überhaupt nicht, dass wir jetzt an Solo-Selbständige den Anspruch haben müssen, dies umzusetzen, wenn aber auf der politischen Ebene oder auch auf der auf Ebene von großen Konzernen, die durchaus Mittel haben, wenn sie die denn dafür einsetzen wollen würden, überhaupt nichts passiert.
Aber ich glaube es ist trotzdem wichtig, dass wir einfach anfangen darüber zu reden. Weil ich glaube, nach meiner ganz persönlichen Erfahrung, fängt es schon damit an, dass wir als Kinder schon getrennt werden in Regelschule und Sonderschule. Dass einfach diese Berührungspunkte nicht stattfinden. Also ich meine, wie viele Gespräche ich meinem Leben schon geführt – die mich überhaupt nicht nerven, es freut mich ja auch – wo ich gefragt wurde „Was bedeutet Gehörlosigkeit überhaupt?“, „Was ist Gebärdensprache?“, „Was ist CI und wie funktioniert Lippenlesen?“. Da fehlt einfach viel Wissen, weil es de facto null Überschneidungspunkte gibt.
Was ich immer krass finde ist, wenn ich mit meinem Sohn auf Spielplätzen bin und denke: „Krass, er sieht hier kein einziges Kind, das in seiner Mobilität beeinträchtigt ist“. Weil diese Kinder gar nicht erst auf den Spielplatz kommen. Ich mein, hast du schonmal einen barrierefreien Spielplatz gesehen? Da fängt es ja einfach schon an, dass Kinder mit und ohne Behinderung so gut wie keine Berührungspunkte haben. Wenn, dann gibt es ganz besondere, ausgewählte, integrative Kindergärten. Aber wie viele gibts denn davon? – Wenige! Sicherlich auch eher nicht in sehr ländlichen Gegenden, sondern eher im großstädtischen Bereich. Das ist ja fast schon Luxus, dass du Kinder unabhängig von ihrer Behinderung zusammenführst.
Merle: Und da fängt es ja schon an, dass das wieder in so eine, ich sag mal „besondere Richtung“ gedrängt wird. Anstatt dies einfach als etwas ganz Normales zu sehen. Und im Vorgespräch hast du auch erzählt, dass es selbst bei, spezialisierten Einrichtungen, wie in Schulen für Hörbehinderte Menschen, gar nicht so selbstverständlich ist, dass die Lehrer:innen der Gebärden Sprache mächtig sind. Das fand ich tatsächlich sehr erschreckend. Damit habe ich nicht gerechnet. Und das zeigt ja, finde ich, auch ganz klar, wie wenig politische Beachtung dem einfach geschenkt wird.
Pia: Menschen mit Behinderung haben einfach keine Lobby und es ist einfach kein wirklich wirtschaftlicher Sektor – im Gegenteil, du musst auch viel Geld reinstecken. Ich erfahre immer wieder, dass Menschen erschrocken sind, weil es keine Notrufmöglichkeit für hörbehinderte Menschen oder nur wenige gebärdensprach-kompetente Lehrer:innen gibt. Man denkt sich da ja einfach, als Mensch, dass es das logischweise geben muss.
Merle: Ja, das ist echt Wahnsinn.
Aber wie du gerade gesagt hast, das Wichtigste was jeder tun kann, ist darüber zu sprechen. Sich vielleicht auch einfach dafür zu interessieren. Ich meine, gerade auch durch Social Media gibt es einige Kanäle, sowohl von Betroffenen als auch von Organisationen, die auf bestimmte Themen aufmerksam machen. Es heißt also, sich einfach mal zu trauen, sich in eine neue „Bubble“ hinein zu begeben. Einfach mal lesen und einfach mal mitkriegen.
Damit habe ich auch vor ein paar Monaten mal angefangen. Mal, so ganz bewusst, etwas aufsaugen, von dem man vorher einfach keine Ahnung hatte oder womit man kaum Berührungspunkte hatte. Das kann jeder einfach mal tun. Und wenn das immer mehr Leute tun, dann ist das Bewusstsein dafür, dass da Probleme bestehen einfach irgendwann da. Und das ist wirklich etwas, das jeder tun kann. Ich glaube das tut jedem einzelnen und unserer Gesellschaft gut. Es ist wirklich keine unüberwindbare Hürde , dies einfach mal zu tun – einfach mal einen Tag, anstatt durch Hunde-Instagram zu scrollen, anderen Themen eine Chance zu geben.
Pia: Das finde ich ist ein richtig richtig schöner Tipp. An die Menschen, die uns zuhören: Vernetzt euch, also sammelt, fangt einfach an euch für diese Themen zu interessieren und zu öffnen. Und vielleicht ergibt sich da dann ja auch etwas, zum Beispiel, dass man mit jemandem zusammen arbeiten kann und die eigenen Angebote barriereärmer gestalten kann. Und wenn es nur ein Workshop ist, wenn es nur ein Online-Vortrag ist. Ich bin überzeugt:
Inklusion findet im Kopf statt und damit ist einfach gemeint, dass ein Umdenken erforderlich ist. Und Umdenken beginnt damit, dass ich Informationen habe.
Merle: Ich habe auch an mir persönlich erlebt, dass wenn man sich einmal ein bisschen tiefer in bestimmte Themen hinein begeben hat, zu denen man vorher keinen Bezug hatte, dass es gar nicht so lange dauert bis das nicht mehr besonders ist. Bis man einfach denkt „ ja, das ist ganz normal, ganz selbstverständlich und da bestehen Probleme und mich macht das gerade genauso wütend, dass Dinge einfach ignoriert werden, zum Beispiel aus der Politik!“ – Kann ich wirklich jedem nur empfehlen, da auch einfach mal über den eigenen Tellerrand, über die eigene Bubble hinaus, sich ein bisschen weiter zu informieren.
Pia: Dazu muss man ja auch erwähnen, dass die allermeisten Behinderungen tatsächlich auch erst im Laufe des Lebens erworben werden. Also wir haben da ja meist das Bild, das es Menschen ohne Behinderung und Menschen mit Behinderung gibt, und dass die Menschen mit Behinderung damit geboren worden sind. Der Großteil der Behinderungen wurde aber im Laufe des Lebens, zum Beispiel durch einen Unfall oder einfach durch das fortschreitende Leben, erworben. Inklusion kann am Ende tatsächlich jeden betreffen, die Grenzen sind fließend.
Persönliches, Ausbildung und Trainingsangebot
Wie sind deine Hunde eigentlich zu dir gekommen und warum hast du dich für sie entschieden?
Pia: Also tatsächlich ist es bei mir definitiv so, dass meine Hunde ein bisschen Sozialpartner Ersatz waren und sind. Auch ein bisschen ein Klischee, aber ich hatte schon gerade als Kind wirklich viele Schwierigkeiten Kontakte zu knüpfen. Sobald es imehr als zwei Kinder waren war ich kommunikativ wirklich hinten dran und habe mich einfach wahnsinnig einsam auf gefühlt. Aber ich hatte auch wahnsinnig viele Haustiere als Kind, also ich wie gesagt Hunde und ich hatte immer Meerschweinchen, Hamster, Rennmäuse. Also wirklich super viele verschiedene Haustiere, weil ich einfach ein ganz großes Bedürfnis nach Austausch und Kommunikation und Zusammensein hatte. Es war immer so ein Dilemma, mich nach Kontakten, Austausch und Kommunikation zu sehnen, aber in der hörenden Welt schnell an meine Grenzen zu stoßen und dann müde und erschöpft zu sein, obwohl das Bedürfnis noch nicht vollumfänglich gestillt ist. Und daher habe ich mir tatsächlich dahingehend etwas vom Hund erwartet und versprochen.
Also ja, warum habe ich mit diesen Hund ausgesucht? Das war auch so richtig der Klassiker. Heute würde ich meinen: „Denk doch mal mehr nach! “ Ich habe einen Freund begleitet, der für sich selber einen Hund gesucht hatte. Damals wollte ich eigentlich gerne einen Retriever, gerne eine Hündin und wollte auch gerne im tiergestützten Bereich noch etwas machen. Ich hätte auch gerne einen Welpen, eben ohne Vorerfahrungen, gehabt. Dann habe ich diesen Kumpel begleitet und eine Mitarbeiterin vor Ort sagte sie hätte hier den perfekten Hund für mich, obwohl der keine meiner Kriterien erfüllte. Er war erwachsen, Rüde, aus dem Ausland, Jagdhund-Mischling, hat einschneidende Erfahrungen gemacht. Also eigentlich sämtliche KO-Kriterien. Aber trotzdem dieses Klischee – Ich hab mich auf den ersten Blick verliebt. Ich hab mich hingehockt, er hat sich an mich gekuschelt und wir waren „eins“. Ja, so bin ich quasi zu Keno gekommen. Ich habe ihn mir entgegen jeglicher Vernunft geholt.
Und Zora sollte tatsächlich eigentlich ein Signalhund werden. Ich kann Nichts das von hinten kommt hören, zum Beispiel Fahrradklingeln. Meine Kund:innen wissen das und gewöhnen sich mit der Zeit dran, nehmen mich zum Beispiel beiseite oder sagen „Achtung, Fahrrad!“. Daher hätte ich es komfortabel gefunden, wenn ich einen Hund gehabt hätte, der Klingeln anzeigt. Ich brauche es aber nicht unbedingt. Es gibt sämtliche technische Hilfsmittel. Für die Haustürklingel habe ich zum Beispiel eine Blitzlichtanlage. Aber ich hasse dieses Blitzlicht. Das erschreckt mich jedes Mal.
Zora ist aber einfach ein absolut ungeeigneter Hund für diese Aufgabe. Ich denke, dass man bei der Rasse Kurzhaarcollie aufpassen muss, dass man da wirklich ein Hund findet der sich für die Aufgabe eignet, weil es einfach unfassbar sensible Hunde sind. Unfassbar reizoffene Hunde. Da ist es glaube ich schwieriger als vielleicht bei manch anderen Rassen, einen Hund zu finden der sich für eine solche verantwortungsvolle Aufgabe eignet.
Ich habe sie nicht selber ausgebildet, sondern sie sollte ausgebildet werden. De facto saß der Hund aber quasi bis zum 7. Lebensmonat 23 Stunden am Tag in der Box. Es ist einfach nur unfassbar schlimm, wie mit diesem Hund umgegangen worden ist. Im Nachhinein finde ich diese Zucht auch nicht gut. Als ich das dann mitbekam, habe ich es abgebrochen und dann erstmal einen Hund vor mir gehabt, der eine beschissene Körperwahrnehmung hatte. Sie konnte nicht durch Zimmertüren gehen, weil sie sich, außer dieser einen Stunde am Tag mit mal Pipi machen und mal rauskommen zum zum Fressen, nicht bewegen konnte. Und das ging dahin über, dass die wirklich eskaliert ist, wenn ein Blatt von einem Baum runter segelte. Dazu hat sie, wie mehrere Hunde aus dem Wurf auch, noch eine Schilddrüsenerkrankung.
Damals hab ich gedacht ich hab den Keno hingekriegt, jetzt kann ich mit Hunden umgehen. Aber bei ihr gab es nicht das Aggressionsthema, sie war mit dem kompletten Alltag und eigenen Körper überfordert. Sie konnte nicht auf bestimmten Untergründen laufen, wie zum Beispiel Fliesen. Das hat mich tatsächlich, zum Glück, auch ein wenig demütig werden lassen. Nur weil ich Erfahrung mit einem Hundetyp oder Thema habe, kann ich nicht automatisch alle anderen Hunde hinkriegen. Ich musste mich wirklich hinsetzen und lernen mich damit auseinanderzusetzen, um das wieder auszubügeln, dass sich so eine Ausbildungsstätte ausgesucht hatte. Ja, das war schon anders herausfordernd. Ein Hund der einfach zusammenbricht und völlig rumschreit.
Eine Sache, an die kann ich mich noch erinnern als wäre es gestern gewesen – das ist glaube ich drei Jahre her – da landete im Garten eine Amsel auf dem Boden und zum ersten Mal ist sie doch nicht ausgerastet. Sie hat sich diese Amsel angeguckt als wollte sie sagen „Da ist ein Vogel!“ und ich dachte „Ja, endlich sie kann das verarbeiten, es ist einfach nur ein Vogel der hier auf diesem Rasen landet!“.
Darüber kann man sich sicher streiten, aber ich denke, dass sie einen Deprivationssyndrom hat. Sie hatte wirklich auf neurologischer Ebene ganz ganz ganz gravierende Probleme Augenreize zu bearbeiten. Und das, ja, das hat echt viel Geduld und Spucke erfordert. Ich musste richtig viel strukturieren im Training und mir wirklich ganz genau überlegen: Was kann sie heute leisten? Was kann sie nicht leisten? Woran arbeiten wir heute? Woran arbeiten für heute nicht.
Merle: Darf ich jetzt nochmal etwas zwischen fragen? Ich finde das gerade sehr interessant. Das Thema Psychologie des Hundes ist, damit meine ich aus Forschungsperspektive, noch nicht so weit fortgeschritten. Das heißt, da ist noch sehr sehr viel Luft nach oben. Aber es sind Säugetiere und man kann davon ausgehen, dass ähnliche Thematiken, wie bei uns Menschen, auch hier durchaus vorhanden sein könnten, auch wenn dies bei der Spezies selbst noch nicht so weit erforscht und kommuniziert ist. Glaubst du mit deiner Vorbildung in der Psychologie dort vielleicht manchmal Themen erkennen zu können die ein:e „normale:r Hundetrainer:in“, auch wenn eine sehr sehr fundierte Ausbildung vorhanden ist, vielleicht nicht unbedingt vermuten würde?
Pia: Also ich könnte mir schon vorstellen, dass es mir vielleicht in manchen Bereichen leichter fällt. Ich glaube aber, dass andere sich das auch aneignen können. Dafür muss man nicht immer ein ganzes Psychologiestudium haben.
Im Bereich Hundepsychologie ist es ja nicht nur so, dass wir noch am Nullpunkt stehen, sondern auch so, dass man manchmal auf Studien aus dem Humanbereich zurück greifen muss, weil man, wie zum Beispiel zur neuropsychologischen Ebene von Aggressionsverhalten, auf keine adäquaten Studien im Tierbereich zurückgreifen kann. Dann kommt natürlich auch die berechtigte Kritik, ob man das wirklich so übertragen könne, denn da setze ich ja einen Transfer um, der wissenschaftlicher nicht untermauert ist. Aber, und jetzt kommen wir zum abgefahrenen. Ich hab meinen Master wie gesagt ja nicht nur in klinischer Psychologie sondern auch in der Neuropsychologie gemacht. Und in der Neuropsychologie machen wir wahnsinnig viele Studien an Tieren. Weil ganz ganz viele dieser Studien, die ja in den Neunzigern gerade noch so gemacht wurden, aus ethischen Gründen an Menschen heute gar nicht mehr durchgeführt werden dürften. Es gibt also Studien an Eulen, Affen, Mäusen und Ratten von denen wir Erkenntnisse auf den Menschen transferieren. Deswegen finde ich das manchmal ein bisschen crazy, wenn jemand meint: „Du kannst ja nichts aus dem Bereich auf ein Tier übertragen!“ Hier muss ich dann sagen, dass die Grundlage unserer Erkenntnisse ja Versuche an Tieren sind. Und das zeigt ja schon, dass es da viele Parallelen gibt. Und natürlich gibt es Unterschiede – Stichwort Psychopharmaka – die werden ja tatsächlich auch bei Hunden eingesetzt. Zum Beispiel werden Antidepressiva manchmal bei Hunden mit sehr übersteigerem Aggressionsverhalten eingesetzt. Das würden wir bei Menschen hier nicht einsetzen, weil es nicht die selbe Wirkung hätte. Es gibt bestimmte Psychopharmaka, die sind bei Menschen mit selbstverletzendem Verhalten absolut kontraindiziert. Bei Hunden hingegen helfen diese tatsächlich was die Reizverarbeitung die Impulskontrolle-Fähigkeiten angeht. Da gibt es also schon Unterschiede.
Konntest du dein Psychologiestudium auf deutscher Gebärdensprache ablegen?
Pia: Ja, ich habe einen Teil meines Studiums auf DGS abgelegt. Ich bin ja mit 19 Jahren ertaubt und habe die DGS erst mit 23 Jahren erlernt. Bis dahin hatte ich maximal Kontakt zu schwerhörigen Menschen aber wenig Erfahrung mit Gebärdensprache. Ich habe dann im Bachelor während einer Fachtagung, da es an der Uni Hamburg auch ein Gebärdensprachinstitut gibt, Kontakte geknüpft und war völlig geflasht. Da durfte ich einfach so Kurse belegen und darüber halt Gebärdensprache erlerne. Zum Ende meines Bachelors habe ich dann noch begonnen Dolmetscher:innen einzusetzen. Das war für mich der absolute Wendepunkt. Mir war nicht klar, wie viel ich trotz CI noch verpasst habe. Ich habe eigentlich gedacht ich komme ja ganz gut klar, habe aber gemerkt, dass ich mir wirklich ein Bein ausreiße um eine zwei oder drei zu schreiben, während die Menschen, mit den ich zusammen gelernt habe dasselbe Energielevel eingesetzt haben und vielleicht ne eins geschrieben haben. Ich meine Noten sind völlig egal. Aber meine Interpretation damals war: „Dann bin ich halt ein bisschen dumm, wenn ich mich so anstrengen muss aber eine schlechtere Note schreibe“. Heute würde ich sagen Noten sagen gar nichts darüber aus, wie intelligent du bist oder nicht. Aber als ich dann Dolmetscher:innen hatte, hat sich mein Notenspiegel einfach nach oben katapultiert. Mit Dolmetscher:in habe ich vielmehr Input bekommen und musste viel weniger für mich nacharbeiten. Gerade so in großen Seminaren, in Diskussionen mit 30 Teilnehmer:innen, liegt da vielleicht eine Mikroportanlage vorne, aber ich habe dann schon die Leute die weiter hinten saßen gar nicht mehr gehört. Das Studium war dadurch emotional gesehen zweigeteilt, einmal die Zeit ohne Dolmetscher:innen und dann die Zeit mit Dolmetscher:innen. Das war für mich ein sehr großer Unterschied.
Merle: Das heißt, du hast erst während der Studienzeit die DGS gelernt. Das stell ich mir auch noch mal sehr sehr kompliziert vor, weil das ist ja quasi eine Fremdsprache für dich gewesen ist.
Pia: Ja, aber ich glaube, dass ich relativ schnell und einfach Zugang dazu gefunden habe und krass eingetaucht bin. Auch durch Kontakte in Hamburg. Da ist eine viel größere Gebärdensprachkultur, als in anderen kleineren Städten. Ich hatte auch im privaten Kontext so viele Kontakte, dass ich dadurch den Luxus hatte mich ganz ganz ganz viel mit der Sprache auseinandersetzen zu können. So habe ich nicht nur im Kurs gelernt, sondern hatte im Privaten Setting auch ganz viele Möglichkeiten zu lernen und zu üben. Aber trotzdem unterscheidet sich meine DGS-Kompetenz von jemandem, der das als Muttersprache hatte, das ist ganz klar.
Psychologisches Coaching
Kommen zu dir auch Menschen, die keine direkten Probleme mit Ihrem Hund haben, sondern persönliche Themen angehen wollen mit Unterstützung ihres Hundes?
Pia: Ja, die habe ich auf jeden Fall auch. Weniger, aber ich habe durchaus auch mal Leute die sagen: „Eigentlich ist alles schick mit meinem Hund im Alltag, so große Themen sind das nicht, aber ich habe das Gefühl ich habe ein Thema im Kontext mit meinem Hund und ich würde da gerne draufschauen“.
Ich habe Angst vor Gewitter mein Hund auch und es fällt mir schwer ihm dann Sicherheit zu geben wie kann ich ihm helfen?
Pia: Ja da ist die Frage erstmal: Wie kann ich mir selber helfen? Weil die Sache ist ja wenn ich Angst vor Gewitter habe – da unterscheiden wir uns ja nicht von unseren Hunden – da ist soziale Unterstützung das A und O. Wie stark ist die Angst? Habe ich Panik? Das sind ja auch verschiedene Sachen. Dann unter Umständen vielleicht zu gucken, ob es im Haushalt eine andere Person gibt, die deutlich entspannter ist. Kann ich den Hund räumlich von mir trennen oder brauche ich selbst Unterstützung?Warum habe ich eigentlich Angst vor Gewitter? Fühl ich mich einfach unwohl und habe ich vielleicht einfach Angst insofern, als dass ich sage ich gehe dann einfach nicht raus oder ich fahre da nicht mit dem Auto oder so? Oder habe ich sogar in meiner Wohnung Angst? Dann ist ja die Frage, warum habe ich denn Angst davor und was könnte ich tun, damit die Angst zumindest bewältigbar für mich wird?
Merle: Ich find die Frage tatsächlich so interessant weil ich, wie die Fragestellerin vielleicht selbst auch, mitunter zeitweilig wirklich Panik vor Gewitter hatte. Als kleines Kind war ich mit meinen Großeltern in den Bergen wandern. Wir wollten eigentlich in ein Restaurant, das allerdings geschlossen hatte und auf einmal kam ein riesengroßes Gewitter. Und jeder, der schonmal im Gebirge unterwegs war, weiß dass Gewitter hier nicht unbedingt harmlos sind. Wir haben dann irgendwo unter einem kleinen Dach stundenlang warten müssen, bis mal jemand vorbeikam – also gefühlt stundenlang. Wahrscheinlich waren es keine Stunden, aber eine Stunde vielleicht. Das hat gereicht, dass ich ein tiefes Trauma hatte, wodurch ich mich teilweise, wenn schon Wolken am Himmel waren, nicht mehr morgens in die Schule getraut habe. Das habe ich mittlerweile, glaube ich zumindest, durch Unterstützung der Familie auch ein bisschen überwinden können. Vor allem auch dadurch, dass ich mir bewusst gemacht habe, was ein Gewitter ist und wie es „funktioniert“. Aber ich habe natürlich immer noch Angst. Das Interessante war nun, dass Tardis, als sie zu uns kam, gar keine Angst vor Gewitter hatte. Also wirklich gar kein Angst, weil sie nämlich in einer Zeit geboren wurde, wo es wochenlang nur Gewitter gab. Der ganze Wurf ist glaube ich für solche Geräusche absolut unempfindlich. Aber dann gab es eine Situation, wo wir spazieren waren und es kam plötzlich ein Gewitter auf und in mir kam wieder so ein bisschen die Panik hoch. Seitdem hat unser Hund leider Angst vor Gewitter. Nicht so schlimm, nicht so dramatisch, aber die sucht zum Beispiel auch die Sicherheit bei meinem Mann und nicht bei mir. Ich versuche dann, in den Situationen, mich ganz bewusst zu entspannen, weil ich nicht möchte, dass sich das bei ihr noch noch stärker manifestiert. Aber das ist gar nicht so einfach.
Pia: Ich denke was da auch wichtig ist, dass wir nicht den Anspruch haben sollten, alles perfekt machen zu müssen und in jeder Lebenslage absolut psychisch stabil sein zu müssen – das ist niemand. Ein Stück weit akzeptieren und das ist ja wie bei Kindern, dass es irgendwelche psychologischen Themen bei mir gibt, die ich nicht immer und überall und zur Gänze aufarbeiten kann und auch nicht muss, die aber einen Effekt haben auf auf das Lebewesen, dass unter meiner Fürsorgepflicht steht. Ich glaube, das Wichtigste ist, da tatsächlich Selbstfürsorge zu betreiben. Insofern, als dass man gut auf sich achtet und schaut was man braucht, um zumindest vielleicht noch reaktionsfähig zu bleiben in solchen Stresssituationen.
Und da muss man ja auch gucken es. Die Angst vor Gewitter zum Beispiel ist ja auch keine total unberechtigte Angst. Das ist ja ein Stück weit auch eine biologisch bedingte evolutions-psychologische Angst. Das macht ja auch Sinn, dass wir uns zurückziehen bei Gewitter. Das was du erlebt hast war einfach ein sehr einschneidendes Erlebnis. Was uns klar sein muss ist, dass wir Traumata nicht heilen können aber wir können sie lindern. Das heißt, wir können Bewältigungsstrategien erlernen, wir können lernen schneller raus zu kommen, wenn wir doch wieder in einenn solchen Modus zurückfallen. Dafür ist es gut im Alltag auf unser Stresslevel zu achten, damit wir gar nicht so anfällig dafür sind schnell in so eine gewisse Spirale so rutschen. Das ist sehr sehr umfangreich dieses Thema.
Merle: Bei mir war auch so ein Punkt, dass ich mir natürlich auch Vorwürfe gemacht habe, dass ich dafür gesorgt habe, dass mein Hund jetzt auch Angst vor Gewitter hat.
Pia: Ja, da bist du auch nicht alleine. Das ist aber auch leider irgendwie etwas, dass in der Hundeszene manchmal so eine gewisse Grundhaltung ist: „Der Hund zeigt dieses Verhalten und du bist daran Schuld!“. Da denke ich mir aber, es ist ja keine bewusste Entscheidung deinerseits oder des Menschen denn das betrifft, dem Hund , durch das eigene Verhalten, dies zufügen zu wollen. Das ist ein eigenes Thema, das man hat und es hat nunmal einen Effekt auf den Hund. Aber es ist keine bewusste Entscheidung. Es ist nichts was man sich ausgesucht hat.
Was rätst du jemanden der einen ähnlichen Weg wie du einschlagen möchte, also Psychologie und Hundetraining zu verbinden? Macht eine Ausbildung schon während des Studiums Sinn? Welche Spezialisierung im Studium hältst du für sinnvoll.
Pia: Das hängt ja auch ein bisschen davon ab, welche Ressourcen man im Studium hat und das ist sehr individuell. Das Studium an sich ist ja häufig auch schon herausfordernd. Da ist dann die Frage: Kann ich mir diese Ausbildung zusätzlich überhaupt leisten? Viele haben auch nicht unbedingt viel Geld, manche haben vielleicht auch noch ein paar Jobs nebenher. Das muss auch vereinbar sein. Und natürlich auch, ob man überhaupt noch die mentalen Energie dazu hat? Das Studium ist ja auch schon sehr anspruchsvoll, mann muss auch viel lernen, zum Beispiel für die Zwischenprüfungen. Und dann ist da die Frage: Wozu diese Hektik? Also warum nicht vielleicht auch die Trainer:innen-Ausbildung nach dem Studium machen?
Die Fächer, von denen ich denke, dass sie Sinn machen, sind zum einen klinische Psychologie, auch wenn man später vielleicht gar nicht mal unbedingt in dem Bereich arbeiten möchte, kann man sich so zumindest ein Bild davon machen. Zum anderen pädagogische Psychologie, das kann auch sehr spannend sein in dem Kontext und letztendlich auch Neuropsychologie. Was ich jetzt weniger damit in Verbindung setzen würde, wären zum Beispiel Arbeits- und Organisationspsychologie. Also meine Schwerpunkte waren unter anderem pädagogische, klinische und neurologische Psychologie. Und so viele andere Schwerpunkte gibt es auch schon gar nicht mehr.
Merle: Es ist ja schön zu hören, dass sich die eine oder der andere Gedanken darüber machen einen ähnlichen Weg einschlagen zu wollen.
Pia: Ja, toll. Ich denke der Bedarf ist ja auch da.
Inklusion
Wie verständigen sich gehörlose Menschen in Hundebegegnungen?
Pia: Das ist super individuell. Es gibt gehörlose Menschen, die sprechen gerne und andere wiederum nicht. Das ist einfach sehr unterschiedlich. Manche rufen oder versuchen an der Reaktion des Gegenübers zu erkennen, was die Antwort sein könnte und versuchen sich mit Händen und Füßen zu verständigen. Je nach Abstand ist es in Teilen möglich von den Lippen abzusehen – ablesen, wie es oft genannt wird, geht gar nicht. Wozu ich auch immer raten würde ist auch immer einen Fokus auf die Sprache der Hunde zu haben, um die Situation einschätzen zu können.
Wenn man sich entscheidet, zusammen spazieren zu gehen, sind Zettel und Stift natürlich ganz klassisch, aber es gibt mittlerweile auch Apps, zum Beispiel AVA,welche die Diktierfunktion des Handys nutzen. Wenn man reinspricht, erscheint da der Text. Das ist dann eine Möglichkeit, sich zumindest in Teilen auszutauschen.
Wie verständigen sich Gehörlose, die auch nicht sprechen können oder wollen mit ihrem Hund? Muss man ein Hund für gehörlose Menschen besonders trainieren und sind besonders weitergebildete Trainer oder Trainerinnen nötig?
Pia: Ne, besonders trainieren muss man die nicht. Denn eigentlich ist die große Herausforderung immer, dass wir unseren Hunden beibringen, dass bisher völlig belanglose akustische Signale eine bestimmte Bedeutung haben. Da müssen wir eigentlich mehr investieren, wenn wir mit hörenden Menschen trainieren. Das entfällt ja dann und ist dadurch tatsächlich eher leichter. Ich denke auch nicht, dass es gesondert ausgebildete Trainer:innen dafür braucht, aber natürlich braucht es die Bereitschaft sich mit den Hintergründen und der Sprache auseinanderzusetzen. Wenn man zum Beispiel gehörlose Kund:innen hat, dass man dann nicht nur mit der eventuellen Begleitperson beziehungsweise mit dem oder der Dolmetscher:in über die gehörlose Person nur in der dritten Person spricht. Also, sich einfach auf zwischenmenschlicher Ebene darauf einlassen. Vielleicht braucht man eher den Mut auch Fehler zu machen, die bleiben halt einfach nicht aus, wenn ich etwas lerne. Und eine gewisse Offenheit und Neugier dafür.
Merle: Das ist ja auch gut zu wissen für unsere Trainer:innen die hier zuhören. Mit solchen Erfahrungen wächst man ja auch. Es gibt ja bestimmt auch die eine oder andere Stelle, wo man sich Hilfe holen, wenn man Fragen hat wie man das Training entsprechend gestalten kann. Hat sich da bei dir schonmal jemand Hilfe geholt?
Pia: Ja. Ich hatte mal ne Story gemacht zum Thema Untertitel, damit die Leute angeregt werden darüber nachzudenken, dass sie sowas ja auch im Alltag umsetzen können. Da hatte sich mal eine angehende Trainerin gemeldet, die meine Arbeit schon länger verfolgte, sie hatte sich dann nur nicht mehr gemeldet. Aber wenn du das liest oder hörst melde dich gerne, oder auch alle anderen, die wissen möchten was sie bei der Umsetzung beachten können.
Was sind denn die größten Herausforderungen für Menschen mit Hörbehinderung im Zusammenleben mit einem Hund?
Pia: Die größten Herausforderungen ist tatsächlich einfach ein Stück weit auf sich allein gestellt zu sein in der Hundeerziehung. Natürlich gibt es Bücher und Bücher sind auch gut und wichtig, aber gerade im Training manchmal auch einfach nur Beiwerk. Also ich brauche ja jemanden, der mich und meinen Hund sieht, der mir in dieser Sekunde eine Rückmeldung gibt, der das erlebt. Das ist ja keine Schablone die ich mir überlegen kann, mir also einfach eine Übung aus dem Buch aussuchen kann und schon passt das.
Das reicht aber noch weiter bis hin zu Besuchen bei Tierärzt:innen – erst recht bei Notfällen. Bei alltäglichen Routinegeschichten kommt man noch mit Stift und Text zurecht, aber auch da braucht es teilweise eine gewisse Bereitschaft. Also ich habe schon wirklich so oft erlebt von gehörlosen Bekannten, dass sie irgendwie irgendwo standen und ihr Gegenüber Stift und Zettel weggeschoben hat „Mach ich nicht, ich schreibe da nicht!“ Ich konnte nie fassen was denn dabei das Problem ist. Also, da braucht einfach eine gewisse Bereitschaft vom Gegenüber dann halt schriftlich zu kommunizieren. Das ist so ne große Hürde.
Eine andere Hürde ist natürlich auch ganz einfach das Unterwegs sein, also dass man unter Umständen ja gar nicht mitbekommt, dass von hinten ein Fahrrad kommt. Zum Beispiel wenn ich unterwegs bin und mein Hunde freilaufen, dann gucke ich mich immer wieder um, ob Radfahrer kommen, damit ich sie rechtzeitig ranrufen kann oder so Kleinigkeiten.
Und natürlich ist für gehörlose Menschen, die vielleicht das Bedürfnis haben mal unterwegs jemanden kennenzulernen und sich zu unterhalten ist das natürlich einfach sehr erschwert.
Merle: Das war auch schon unsere letzte Frage aus der Community. Es war ein wirklich tolles Gespräch mit so interessanten Themen. Wir sind jetzt am Ende und es hat mir sehr viel Spaß gemacht, es war mir eine Freude, dass du hier bei uns zu Gast warst. Ich wünsche dir viel Erfolg für alle deine zukünftigen Pläne.
Pia: J, danke auch von mir. Die Zeit ist nur so verflogen für mich. Vielen Dank, dass du mir diese Plattform hier geboten hast wo wir uns mal zu diesen Themen austauschen konnten und ich hoffe, wir sehen oder hören uns mal wieder.
Quellen & weitere Links zum Thema
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